Hundeverhaltensberatung – Mehrhundehaltung – Teil 3
Welcher Hund passt zu uns? Rüde oder Hündin, Welpe oder erwachsener Hund?
Sie haben sich die Entscheidung sicher nicht leicht gemacht, aber nun steht es fest: Ein weiterer Hund soll bei Ihnen einziehen. Die Auswahl des neuen Familienmitglieds ist ein ganz entscheidender Faktor dafür, ob das „Projekt Mehrhundehaltung“ zum Traum oder Albtraum wird. Man kann die Frage wer denn nun zu wem passt nicht pauschal beantworten. Hunde sind Individuen und nicht jeder Hund findet jeden anderen Hund gleich sympathisch.
Ein paar grundsätzliche Überlegungen sollte man in seine Entscheidung jedoch mit einbeziehen:
Die Wahl des Geschlechts
Bei einer gemischt-geschlechtlichen Gruppe kann es vorkommen, dass der Rüde im Umgang mit anderen Rüden beginnt mehr Konkurrenzverhalten zu zeigen, als er das zuvor getan hat. Er versucht gegebenenfalls „seine“ Hündin(nen) abzuschirmen und andere Rüden auf Distanz zu halten. Ausserdem sind gerade junge, unkastrierte Rüden bei Hündinnen oft sehr aufdringlich, was für die Hündin sehr stressend sein kann.
Bei einer reinen Damengruppe kann es vor allem während der Läufigkeiten und der Phase der Scheinträchtigkeit zu Problemen kommen, wenn die Hündinnen die jeweils andere als Konkurrenz bzw. Bedrohung während dieser Zeit empfinden. Auseinandersetzungen zwischen Hündinnen laufen meist ernster ab, als unter Rüden. Der Mensch muss die Hündinnen gut beobachten, um sich anbahnende Konflikte rechtzeitig zu erkennen, bevor sie eskalieren.
Bei Rüden untereinander entscheiden hauptsächlich der Charakter des einzelnen Rüden sowie die gegenseitige Sympathie. Es gibt Rüden, die andere Rüden generell als Bedrohung ansehen und ihnen draussen entweder aus dem Weg gehen (was nicht im nötigen Mass möglich ist, wenn der andere Rüde mit im Haushalt lebt!) oder Konkurrenzverhalten zeigen; andere kommen zwar mit kastrierten Rüden gut zurecht aber nicht mit unkastrierten.
Die Wahl des Typs
Je ähnlicher die Bedürfnisse der Hunde sind, umso leichter lassen sie sich auch gleichzeitig beschäftigen. Allerdings muss man bei Hunden, die ähnlich gestrickt sind, auch mit Problemen rechnen: Durch Stimmungsübertragung kann Jagd-, Angst- oder Aggressionsverhalten bei den entsprechenden Umweltreizen schneller ausgelöst werden. Bei Hunden, denen Dinge wie Spielzeug, Futter, Liegeplätze oder auch die Zuwendung ihrer Menschen sehr wichtig sind, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es zu Konflikten im Zusammenhang mit diesen Ressourcen kommt. Hier muss der Mensch gut beobachten und rechtzeitig eingreifen, um eine Eskalation dieser Konflikte zu vermeiden. Er muss in der Lage und gewillt sein, allen Hunden beizubringen, dass es keinen Grund zu streiten gibt.
Oft haben Hunde der gleichen Rasse oder des gleichen Hundetyps (z.B. Hütehunde, Vorstehhunde, etc.) ähnliche Bedürfnisse. Darüber sollte man sich im Klaren sein, wenn man mit dem Gedanken spielt, zu einem Labrador einen weiteren dazu zu holen oder einen Aussie mit einem Mini-Aussie zu vergesellschaften. Ob und in welchem Masse es aufgrund der Ähnlichkeit der Hunde zu Problemen kommt, kann man pauschal nicht sagen, da sich die Individuen innerhalb einer Rasse oder eines Hundetyps mitunter stark unterscheiden.
Die Wahl der Grösse
Auch die Grösse der Hunde bzw. deren Grössenverhältnis sollte bedacht werden bei der Entscheidung, welcher Hund in die Familie passt.
Bin ich persönlich dazu in der Lage zwei 30 kg schwere Hunde an der Leine gut halten zu können, sollte eine Situation eintreten, in der dies nötig ist? Habe ich genug Platz für zwei oder mehr grosse Hunde, sowohl im Haus als auch im Auto?
Ist der bereits vorhandene Hund sehr klein, tut man ihm mit grosser Wahrscheinlichkeit keinen Gefallen, wenn man sich für einen Zweithund entscheidet, der sehr gross ist oder wird, z.B. wenn ein Malteser mit einem Labrador zusammen leben soll. Vor allem wenn der „Riese“ als Welpe einzieht, sind kleine Hunde einfach oft überfordert, weil sie ihrem neuen Mitbewohner körperlich nichts entgegenzusetzen haben. Wird ein kleiner Hund von solch einem grossen, schweren Jungspund „niedergespielt“, ist das nicht nur nicht schön für den Kleinhund, es kann auch Verletzungen zur Folge haben. Das Gleiche gilt natürlich auch andersherum. Lebt im Haushalt ein grosser Hund muss man sich gut überlegen, ob dieser mit einem möglicherweise aufgeweckten „Zwerg“ so vorsichtig umgeht, dass dieser keinen Schaden nimmt.
Die Wahl des Alters
Welpen und junge Hunde sind sehr lebhaft und benötigen bis zum Alter von mindestens zweieinhalb bis drei Jahren viel Aufmerksamkeit, Management und Training. Der bereits im Haushalt lebende Hund wird also zwangsweise weniger Aufmerksamkeit bekommen. Hinzu kommt, dass vor allem ältere Hunde oft durch die „jungen Hüpfer“ überfordert sind, andere dagegen leben durch einen jüngeren Artgenossen im Haus noch einmal richtig auf. Hündinnen sind mit Welpen und Junghunden oft weniger tolerant als Rüden.
Ältere Hunde, ab einem Alter von etwa drei Jahren haben vielleicht eine Vorgeschichte, die sie mitbringen und die ebenfalls viel Aufmerksamkeit und Training erfordern kann. Aber der durchschnittliche erwachsene Hund lernt im Allgemeinen leichter, weil die Gehirnentwicklung bereits abgeschlossen ist und kann sich deshalb an neue Lebensumstände in der Regel schnell anpassen. Nicht nur deshalb ist es durchaus eine Überlegung wert, sich für einen erwachsenen Hund aus dem Tierschutz zu entscheiden.
Auch und gerade Hundesenioren können ideale Zweithunde sein. Sie sind oft sehr ruhig und gelassen, verfügen über viel Erfahrung im Umgang mit Hund und Mensch und sie haben es besonders verdient ihre letzten Lebensjahre in einem liebevollen Zuhause zu verbringen. Natürlich muss man bei einem Hundesenior eher damit rechnen, dass er altersbedingte Erkrankungen mitbringt oder entwickelt und ja, auch die Zeit, die man gemeinsam verbringen wird, ist definitiv kürzer, als wenn ein Welpe oder Junghund einzieht. Allerdings sind dies keine schlagenden Argumente, wenn es darum geht, einen Hund zu finden, der so gut wie nur möglich in die bestehende Familie passt.
Wenn Sie all diese Überlegungen nun auf Ihren bereits vorhandenen Hund beziehen, sollten Sie in der Lage sein, zumindest entscheiden zu können, ob ein Rüde oder eine Hündin, ein Welpe, Junghund oder ein erwachsener Hund bzw. Hundesenior als Partner für Ihren Hund am ehesten geeignet ist.
Was möchte mein Hund?
Beobachten Sie beim Spaziergang ruhig auch einmal, ob Ihr Hund gewisse Vorlieben hat, was seine Gesellschaft betrifft. Hält er sich lieber in der Nähe von Hündinnen oder Rüden auf und wie verhält er sich dabei? Ist er freundlich und reagiert angemessen auf die Signale des anderen Hundes oder ist er eher aufdringlich, vielleicht sogar grob? Hat er eine Engelsgeduld mit Welpen und Junghunden oder wird es ihm schnell zu viel und er zeigt dies indem er das Weite sucht oder dem Welpen/Junghund durch Knurren, Zähne zeigen oder Schnappen zeigt, dass dessen Nähe unerwünscht ist? Ist Ihr Hund in deren Gegenwart eher zurückhaltend oder sogar ängstlich? Andersherum: Ist ihr grosser, schwerer Hund vorsichtig und sanft im Umgang mit kleineren, schwächeren Hunden oder ist er eher eine polternde Dampflok, bei der schon einmal unabsichtlich ein kleiner Hund unter die Räder kommt?
Mit dem Hintergrund der oben aufgeführten Punkte und Ihren Beobachtungen sollten Ihre Suchkriterien schon ein wenig eingeschränkt sein und Sie können relativ gezielt, in der Ihrer Meinung nach am besten passenden Kategorie Hund, nach einem weiteren Vierbeiner suchen.
Tierheim oder Züchter
Die Frage ob das neue Familienmitglied von einem Züchter oder aus dem Tierschutz (darin schliesse ich an dieser Stelle natürlich auch Hunde ein, die privat weitervermittelt werden) kommen soll, müssen Sie für sich selbst entscheiden. Es gibt bei beiden sowohl Welpen, Junghunde als auch erwachsene Hunde. Alle sind sie Individuen und ein Hund aus dem Tierschutz ist nicht automatisch problematischer, als es ein Hund vom Züchter ist oder im Laufe seiner Entwicklung noch werden kann. In beiden Fällen kann es sein, dass Sie vor Herausforderungen gestellt werden, die Sie alleine nicht bewältigen können und den Rat eines kompetenten Hundetrainers hinzuziehen müssen. Das Gleiche gilt für die Gesundheit des Hundes: Ein Hund vom Züchter ist keine Garantie dafür, dass der Hund nicht krank wird oder nicht schon eine Erkrankung mitbringt. Genauso gut kann ein Hund aus dem Tierschutz sich sein Hundeleben lang bester Gesundheit erfreuen oder eben auch einmal krank werden.
Fazit
Egal für welche Variante Sie sich entscheiden: Brechen Sie die Entscheidung für einen bestimmten Hund nicht übers Knie, sondern besuchen Sie die geeigneten Kandidaten gemeinsam mit Ihrem Hund am besten mehrere Male und lassen Sie den Hunden genügend Zeit, sich in aller Ruhe kennenzulernen.
Wie Sie für einen gelungenen Start mit dem neuen Familienmitglied sorgen, erfahren Sie im nächsten Artikel der Reihe zum Thema „Mehrhundehaltung“.
Gerne Begleite ich auch Sie in das Universum Hund und zeige Ihnen das Wesen Hund.
In diesem Sinne, geniesst die Zeit mit euren Fellnasen.
Euer Chrigi